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Was es bedeutet, vom Hilfesystem abhängig zu sein

Es kommt häufig vor, dass Eltern behinderter Kinder beneidet werden, wenn sie Leistungen aus dem Hilfesystem bekommen oder aufgrund der Betreuungssituation für ihre Kinder nicht arbeiten gehen können. Sie es ein Pflegegrad, eine Schulbegleitung, ein Fahrdienst oder ein Grad der Behinderung. Ja, diese Dinge gehen mit „Vergünstigungen“ einher. Es gibt mitunter Pflegegeld, Entlastungsleistungen, Steuerentlastungen oder günstigere Eintrittspreise.

Aber: Nichts davon wiegt auf, was man im Alltag als Mensch mit Behinderung bzw. als Elternteil eines behinderten Kindes erlebt und aushalten muss. Regelmäßige Diskriminierung, strukturelle Gewalt, Willkür, Abhängigkeiten von Entscheidungsträger•innen, Übergriffe und Gewalt in Einrichtungen, permanenter Rechtfertigungsdruck, Einmischung in Alltag und Erziehung und finanzielle Belastungen (weil man doch ja einiges selbst finanziert oder dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht).

Regelmäßig stehen Überprüfungen an, müssen Anträge gestellt werden, wechseln Bezugspersonen und Verantwortliche und man muss sich wieder mal „nackig“ machen. Das geschieht nicht selten in einem Kontext bzw. unter Rahmenbedingungen, die als feindselig, unsicher oder willkürlich erlebt werden. Schnell wird man als zu fordernd oder undankbar abgestempelt. Teilweise wird unterstellt, man erschleiche sich Leistungen.

Nie gibt es eine längere „Atempause“, je nach Hilfeleistung sind es nur weniger Monate, die man verschnaufen kann. Ich habe im beruflichen Kontext selbst erlebt, dass Kostenzusagen teilweise nur für zwei oder drei Monate gewährt werden.

Behinderungen und damit einhergehende individuelle Barrieren werden häufig als Argumentationshilfe genutzt, um Kompetenzen und Expertisen zu untergraben oder weniger glaubhaft erscheinen zu lassen. Denken wir nur an solche Aussagen wie „Du kannst nicht alles mit deiner Diagnose entschuldigen“. Eigentlich ist man in einer permanenten, äußerst demütigenden, Rechtfertigungsrolle. Kann man etwas laut eigener Aussage nicht, wird einem unterstellt, man ruhe sich auf der Diagnose aus. Verweist man gleichzeitig auf vorhandene Kompetenzen und Ressourcen werden einem diese abgesprochen, klein geredet oder die eigene Einschätzung als überzogen gewertet.

Die Bittstellerrolle begleitet einen fortwährend, Dankbarkeit wird erwartet, Mitsprache- und Gestaltungsrecht abgesprochen oder untergraben, kritische Anmerkungen werden nicht gerne gesehen und im Zweifelsfall gegen einen genutzt. Man muss in jeder Situation überlegen, wie man vorgeht, um dringend benötigte Hilfen nicht zu gefährden. Behörden und Institutionen haben ggf einen langen Atem (rw), Widersprüche und Klagen kann man aussitzen, während auf der anderen Seite genau solche Umstände zum Zusammenbruch eines funktionierenden Systems führen können. Solche Verfahren sind langwierig und diese Zeit hat man häufig nicht.
Man lernt, Dinge runter zu schlucken und einzustecken, obwohl man genau weiß, dass es falsch, ungerecht oder gegen die aktuelle Rechtsprechung ist, schließlich ist man angewiesen, auf jedes Bißchen Hilfe und Entlastung.

Ich persönlich kenne sehr viele MmB und Angehörige, die diese Machtverhältnisse als problematisch oder sogar traumatisierend erlebt haben. Oft kommt die Aussage, dass das Schlimme an einer Behinderung/Diagnose unter anderem ist, was man im Rahmen des Hilfesystems erlebt. Diese Umstände wirken sich massiv negativ auf den Alltag und auf die eigene Gesundheit aus. Sie können sogar dazu beitragen, den Verlauf oder eine Diagnose negativ zu beeinflussen. Nichts davon wäre es wert, das in Kauf zu nehmen, wenn es nicht so dringend gebraucht würde.

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