Heute widme ich mich mal einem etwas heiklen Thema – Medikamente.
Früher oder später stehen wir als Eltern vor der Entscheidung – soll mein Kind medikamentös behandelt werden oder nicht? Und hier ist es egal, ob das Kind ADS, ADHS, Autismus oder sonstiges hat.
Außenstehende können meistens gar nicht nachvollziehen, warum man auch nur darüber nachdenkt, seinem Kind ein Medikament zu geben. Und dann auch noch ein Medikament, welches den Ruf hat, schlimme Nebenwirkungen zu haben.
Nun, ich denke, keine Eltern würden jemals leichtfertig ihrem Kind irgendein Medikament geben. Der Leidensdruck muss schon enorm hoch sein, bevor man darüber überhaupt nachdenkt.
Die Vor- und Nachteile müssen gut überdacht werden, das ist klar. Jedes Kind, jeder Jugendliche reagiert auch ganz unterschiedlich auf die verschiedenen Medikamente. Von daher muss die Einstellung auch gut von einem Arzt überwacht und begleitet werden. Wir haben damals mehrere Medikamente in verschiedenen Dosierungen ausprobiert, bis wir letztendlich das für Tommy passende Medikament gefunden hatten. Bei einem Medikament war der Rebound so fürchterlich, dass Tommy abends gar nicht zur Ruhe kommen konnte und an Schlaf war natürlich auch nicht zu denken, ein Anderes zeigte kaum Wirkung und war für die Schule absolut untauglich, weil es in der Schule hätte nachdosiert werden müssen. Das hat leider oftmals nicht funktioniert. Die Kombination aus Medikinet als Starter am Morgen und Concerta war am Ende die passende Medikation, bei der wir dann über viele Jahre geblieben sind.
Natürlich hatte auch ich starke Zweifel, ob ich meinem Kind tatsächlich diese Tabletten geben soll. Zumal Tommy damals gerade mal 5 Jahre alt war.
Nach den ganzen Untersuchungen und der Diagnose ADHS mit AVWS wurde uns nahegelegt, es wenigstens zu versuchen, denn Tommy konnte sich überhaupt nicht konzentrieren, seine motorischen Fähigkeiten lagen weit unter dem Altersdurchschnitt und gesprochen hat er bis dahin auch kaum. Es war keine normale Interaktion mit ihm möglich, er schien es gar nicht mitzubekommen, wenn man ihn ansprach. An einen Schulbesuch war überhaupt nicht zu denken.
Also haben wir einen Termin ausgemacht, bei welchem Tommy eine Testreihe mit verschiedenen Aufgaben absolvieren sollte. Zuerst ohne Medikament, dann genau die gleichen Aufgaben noch einmal, eine Stunde, nachdem er 5 mg Medikinet bekommen hatte.
Der Unterschied zwischen den beiden Ergebnissen war so gravierend, dass der Arzt damals meinte, so einen Unterschied hätte er noch nicht gesehen.
An diesem Nachmittag war ich zusammen mit meinen beiden Kindern noch draußen im Feld spazieren. Tommy nahm meine Hand beim Spazierengehen, das wollte er sonst nie. Zum ersten Mal, seit Tommy auf der Welt war, konnte ich mich ganz normal mit ihm unterhalten. Er hat mir von Sachen erzählt, von denen ich wirklich geglaubt hatte, dass er das gar nicht mitbekommen hätte.
Er lebte bis zu diesem Tag immer in seiner eigenen Welt und es war nahezu unmöglich, mit ihm zu kommunizieren.
Wir saßen auf einer Bank mitten im Feld und haben uns ganz normal unterhalten – ich kann gar nicht in Worte fassen, was ich an diesem Nachmittag gefühlt habe. Aber sicher könnt ihr euch vorstellen, dass mir die Freudentränen in die Augen geschossen sind. Ich war so froh und so dankbar.
An diesem Tag ist für mich die klare Entscheidung gefallen, Tommy medikamentös zu behandeln. Tommy machte von da an riesige Fortschritte in allen Bereichen, die Therapien zeigten deutliche Erfolge.
Wenn ich später Jemandem beschreiben sollte, was die Tabletten denn bewirken würden, erklärte ich es so: Tommy war in seiner eigenen kleinen Welt, völlig in sich zurückgezogen. Mit Hilfe des Medikamentes und den Therapien (Ergotherapie und Logopädie) war es, als wäre er aus einem Dornröschenschlaf erwacht und wolle nun alles nachholen, was er bis dahin versäumt hatte.
Natürlich blieben viele Probleme und später sollten noch andere Probleme dazu kommen. Aber ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass die Medikation Tommy eine völlig neue Welt eröffnet hat.
Für alle, die den Unterschied lieber mit konkreten Zahlen wissen wollen – bei Tommy wurde ein Intelligenztest gemacht, bevor er medikamentös eingestellt wurde. Das Ergebnis war bei 80 Punkten. Später wurde ein weiterer Intelligenztest unter der Medikation durchgeführt – das Ergebnis hier lag bei 132 Punkten. Ich glaube, die Zahlen sprechen für sich.
Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass das Medikament in Kombination mit den Therapien für Tommy den Durchbruch gebracht hat und er dadurch eine ganz neue Lebensqualität gewonnen hat.
Natürlich kann ich hier wirklich nur für uns sprechen. Jedes Kind ist anders, jede Familie ist anders und bei Jedem sind die Probleme sehr individuell. Aber ich denke einfach, es ist einen Versuch wert. Was hat man schon groß zu verlieren? Mann kann es versuchen und wenn der erwünschte Erfolg ausbleibt oder die Nebenwirkungen zu stark sind, kann man das Medikament ja auch jederzeit wieder absetzen.
Selbstverständlich habe ich zwischendurch auch alles Mögliche ausprobiert, um meinem Kind eben nicht dauerhaft die Medikamente geben zu müssen. Nahrungsergänzung, Schüssler Salze, Globuli und Bachblüten, wir haben alles ausprobiert. Nachdem wir einige Zeit die Bachblüten ausprobiert hatten, die mir eine Ärztin in der Mutter-Kind-Kur empfohlen hatte, bekam ich eine Nachricht von Tommys Klassenlehrerin. Sie fragte mich, ob ich Tommy nicht bitte wieder sein Medikament geben könne, damit er endlich wieder zeigen könne, welches Potenzial in ihm stecke. So würde es in der Schule leider überhaupt nicht klappen. Nun ja, zu Hause klappte ja auch nichts mehr, also war die Sache recht schnell entschieden und Tommy bekam wieder seine Medikamente.
Dennoch heißt das nicht, dass das Kind für immer auf die Medikamente angewiesen ist. Im Laufe der Jahre machen unsere Kinder große Entwicklungsschritte und bei dem ein- oder anderen klappt es dann vielleicht auch ganz ohne medikamentöse Unterstützung. Seit nunmehr gut 3 Jahren hat Tommy die Medikation komplett abgesetzt und kommt gut damit zurecht.
Ich hoffe, dass ich mit meinem Artikel evtl. manchen Eltern Mut machen kann und ihnen ein wenig die Angst nehmen kann, es mit einem Medikament zu versuchen. Und bitte tut es nicht für euch, sondern für eure Kinder. Denn für eure Kinder ist es auch nicht schön, wenn sie überall anecken, sie keiner versteht und sie sich permanent selbst im Weg stehen.
Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht, oder vielleicht auch ganz andere? Schreibt gerne mal eure eigenen Erfahrungen in die Kommentare. Ich würde mich über Rückmeldungen zu dem Thema sehr freuen.
Eure Frieda